Dr. Joachim Selle
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Philosophie




ADHS und Sucht  (Substanzgebrauch Störung) 2017

Eine neue Studie mit fast 3 Millionen Jugendlichen und Erwachsenen mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) hat berichtet, dass die pharmakologische Behandlung mit einem signifikant geringeren Risiko für Substanzgebrauchsproblemen assoziiert war. Laut dem im American Journal of Psychiatry veröffentlichten Ergebnissen war das Risiko für Substanzgebrauchsprobleme in Phasen der Medikamentenanwendung, verglichen mit Nicht-Medikations-Phasen, bei Männern um 35 % und bei Frauen um 31 % geringer.

Als eine der größten Analysen zu den Risiken und Vorteilen von ADHS-Medikamenten griff die Studie auf anonyme Gesundheitsversorgungsdaten von 146 Millionen amerikanischen Patienten von 2005 bis 2014 zurück und identifizierte Personen mit ADHS, die Phasen mit und ohne ADHS-Medikation und einen oder mehrere Besuche auf der Notaufnahme aufgrund von Substanz- oder Alkoholkonsum registrierten. Es wurde festgestellt, dass die Medikation mit einem niedrigeren Risiko für substanzbedingte Ereignisse und, zumindest bei Männern, einem niedrigeren langfristigen Risiko für zukünftige substanzbedingte Ereignisse assoziiert war.

„Auch wenn die Bedenken bezüglich der Verordnung von Medikamenten zur Behandlung von ADHS, die über ein Missbrauchspotenzial verfügen, verständlich sind, liefert diese Studie weitere Evidenz dafür, dass die Anwendung dieser Medikamente nicht mit einem erhöhten Risiko für Substanzmissbrauchsprobleme im Jugend- oder Erwachsenenalter assoziiert ist“, sagte der leitende Autor Patrick D. Quinn.


30.03.2017

Novellierung der
Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtmVV) im Bundeskabinett
verabschiedet, der damit einhergehende Entwurf zur Veränderung der
Richtlinien zur Substitutionsbehandlung der Bundesärztekammer vorgelegt!


Der Beschluss des Bundeskabinetts zur Novellierung der BtmVV ist als
Zäsur anzusehen und bedeutet einen Paradigmenwechsel hin zu einer Abkehr vom Abstinenzdogma!  So gibt nun die Politik endlich der Forderung nach, dass die Behandlung von Abhängigkeitserkrankten den wissenschaftlichen evidenzbasierten Erkenntnissen und auch „den praktischen Erfahrungen“ folgen muss! Damit wird endlich anerkannt, dass die Verordnung von Substitutionsmedikamenten die Methode der Wahl von
Opioidabhängigkeitserkrankten ist und auch Leben rettet. So heißt es in
der Präambel der Verordnung der Bundesregierung:

"Die ärztliche Behandlung mit Substitutionsmitteln von Patientinnen und
Patienten,  ..... hat sich zu einer wissenschaftlich allgemein
anerkannten, evidenzbasierten Behandlungsmethode als Regelleistung
weiterentwickelt."  ... Deshalb sollen mit der Verordnung die Vorgaben
des Substitutionsrechts in der BtmVV an Erkenntnisse des
wissenschaftlichen Fortschritts und an praktische Erfahrungen angepasst
werden."

Entscheidend ist jedoch, dass nun endlich die lange von Seiten der DGS
geforderte Trennung von medizinischer Behandlung und möglichen
strafrechtlichen Konsequenzen dadurch erfolgt, dass bislang  die bisher
in der BtmVV geregelten Punkte nun in die Richtlinienkompetenz der
Bundesärztekammer überführt werden. Somit ist nun der entscheidende
Schritt getan, um zu einer Verbesserung und Erleichterung der Arbeit von
Suchtmedizinern zu gelangen und vor allem eine Entkriminalisierung der im
suchtmedizinischen Bereich tätigen Ärztinnen und Ärzte zu erreichen.


Das Abstinenzparadigma wird insoweit relativiert, als dass zwar weiterhin
eine Opiodabstinenz als leitendes Element der Substitutionstherapie
beschrieben ist, aber nur noch von einem Anstreben dieses Ziels die Rede
ist. Das zu erreichende Hauptziel besteht jetzt in der Erreichung einer
Abstinenz von dem Konsum von illegal erworbenen  Opioiden, also nicht
mehr in einer  gänzliche Abstinenz auch von verordneten Opioiden. Dieses
bedeutet eine Anpassung an die Realität und bedeutet im Kern auch eine
Abkehr vom Abstinenzparadigma in seiner Ausschließlichkeit. Der
behandelnde Arzt muss sich zukünftig nicht mehr dafür rechtfertigen und
befürchten strafrechtlich belangt zu werden, wenn er über längere Zeit
weiterhin das Substitutionsmedikament verschreibt und dem Vorwurf
ausgesetzt wird, es noch immer nicht geschafft zu haben den Patienten in
die vollständige Abstinenz zu überführen.

Es besteht nun die Möglichkeit der Verschreibung des
Substitutionsmedikamentes auch für 30 Tage im Inland und nicht nur bei
Auslandsaufenthalten. Das retardierte Substitutionsmedikament Substitol
wird nun als gleichwertiges Substitutionsmedikament anerkannt und nicht
mehr in Frage gestellt:

„Zur Substitution dürfen nur die in § 2 BtMVV genannten
Substitutionsmittel eingesetzt werden. Diese haben unterschiedliche
Wirkungs- und Nebenwirkungsprofile, die zu beachten und unter
Berücksichtigung der individuellen Patientensituation in ein umfassendes
Therapiekonzept einzupassen sind. Bei gleichwertigen Substitutionsmitteln
soll die Patientenpräferenz Berücksichtigung finden, da hierdurch die
Behandlungsadhärenz verbessert werden kann.“


Die Entscheidung darüber, ob eine Psychosoziale
Betreuung (PSB) zu erfolgen hat bzw. ob diese überhaupt sinnvoll ist,
ist nach den vorgelegten Richtlinien der Bundesärztekammer nun in das
Ermessen des behandelnden substituierenden Arztes gestellt. Damit wird
die  bürokratische Hürde der Vorlage einer entsprechenden
PSB-Bescheinigung zukünftig entfallen. Bisher musste sich behandelnde
Arzt unter der Androhung, dass er sonst seine suchtmedizinische
Behandlung nicht bezahlt bekomme,  darum kümmern. Weiterhin sollte der
substituierte Patient sinnvollerweise auf die ggf. vorhandene
Notwendigkeit einer Psychosozialen Betreuung hingewiesen werden:

„. Eine psychosoziale Betreuung soll dem Patienten regelhaft empfohlen
werden“.
„Auswahl, Art und Umfang der Maßnahmen richten sich nach der
individuellen Situation und dem Krankheitsverlauf des Patienten.“
„Psychosoziale Betreuung sowie weitere ärztliche und
psychotherapeutische Behandlungen sollen vom substituierenden Arzt
koordiniert werden“.


„Bevor eine Behandlung gegen den Willen des Patienten beendet wird,
sollten andere Interventionsmöglichkeiten ausgeschöpft worden sein.
Hierzu gehören insbesondere Optimierungen des Therapiekonzeptes, z. B.
durch Dosisanpassungen oder Einbezug einer psychosozialen Betreuung,
sowie Versuche eines Wechsels des Patienten in ein anderes ambulantes
oder stationäres Therapieangebot.“
Weiterhin strafbar bleibt die Mitgabe von Substitutionsmedikamenten aus
der Praxis heraus!



In manchen Regionen Deutschlands gibt es gar keine substituierenden Ärzte
mehr! Des Weiteren erweist es sich als ausgesprochen schwierig,
Nachfolger für eine Substitutionspraxis zu finden, eine Überalterung
der Ärzteschaft in diesem Bereich besteht. Auch deshalb müssen die
Vorgaben des  Gemeinsamen Bundesausschuss ( GBA ) nun schnellstmöglich
an die Vorgaben der Novellierung der BtmVV und insbesondere der
Richtlinien der Bundesärztekammer angepasst werden. Die substituierenden
Ärzte sind in ihrer Tätigkeit an die Vorgaben der GBA gebunden. Derzeit
werden die substituierenden Ärzte durch die ausgesprochen restriktiven
Vorgaben des GBA, in ihrer fachärztlichen suchtmedizinischen Tätigkeit
behindert!

Verabschiedung der BtmVV im Bundesrat, wo kein Widerstand zu erwarten ist.
Der gemeinsame Bundesausschuss ist vor der Verabschiedung der Richtlinien
der Bundesärztekammer zu hören. Die Stellungnahme des GBA ist in die
Richtlinien der Bundesärztekammer einzubeziehen!
Die Richtlinien der Bundesärztekammer müssen dem Gesundheitsministerium
zur Genehmigung vorgelegt werden!





Aktuelle Power Point Präsentation zum Thema: Zur Entstehung von Suchterkrankungen




 Suchterkrankungen am Beispiel von Opiat- Heroinabhängen im Kreis Recklinghausen 

-Epidemiologie

Missbrauch und Abhängigkeit von Nikotin, Alkohol und Medikamenten sowie illegalisierten Substanzen sind vermutlich die größten sozialmedizinische Probleme in Deutschland. Es gibt Hinweise, dass Missbrauch und Abhängigkeit in Zahl und Intensität zunehmen. Besorgniserregend sind die vielfältigen Berichte, dass das Einstiegsalter immer niedriger wird. Gleichzeitig entwickeln sich neu Formen abhängigen Verhaltens. Dazu gehören solche Formen stoffgebundener Abhängigkeit, wie das Beispiel Ecstasy zeigt, sowie die nicht stoffgebundenen Formen abhängigen Verhaltens wie pathologisches Spielen und Essstörungen.

Hinzukommen Verhaltensweisen, die problematische Konsequenzen für die Betroffenen wie ihre soziale Umgebung haben, wie Arbeitssucht, Sexualsucht etc..

 Nach den in etwa übereinstimmenden Schätzungen über das Ausmaß von Abhängigkeitserkrankungen gibt es zurzeit folgende Situation fair die BRD:

Ca. 2.5 Mio. Alkoholabhängige

Ca. 1.4 Mio. Medikamentenabhängige

Ca. 120 000 Abhängige von illegalisierten Substanzen Ca. 50 000 Spielsüchtige

Eine unbekannte Zahl von Menschen mit weiteren nicht Stoffgebundenen Formen abhängigen Verhaltens.

Die Konsummuster in Ost und Westdeutschland nähern sich, wenn auch langsamer als erwartet, einander an. 
      

-Definitionen (1999)

Sucht im Sinne der internationalen Klassifikationen der Erkrankungen werden als eine Folge des Gebrauches psychotroper Substanzen verstanden. Psychotrope Substanzen sind im wesentlichen Alkohol, Tabak mit dem zahlenmäßig größten Erkrankungs- und Mortalitätsrisiko,und Drogen also illegale Substanzen wie Heroin und Kokain. Der Gebrauch dieser Substanzen fiihrt zu nachweisbaren Schäden im körperlichen, psychischen oder sozialen Bereich.

-Definitionen aktualisiert Dezember 2005

Abhängigkeit bezeichnet grundsätzlich eine die freie Entwicklung und die Autonomie der eigenen Entescheidungen einschränkende Bindung an den Menschen, Ideen oder Stoffen. Abhängigkeit lieget dann vor, wenn der Konsum einer Substanz oder Substanzklase für die betroffenen Person Vorrang hat gegenüber anderen Verhaltensweisen, die von ihr früher höher bewertet wurden und sich eine Toleranz/ und oder Entzugserscheinungen nachweisen lassen.

Wikipedia:

"Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) benutzte den Begriff „Sucht“ nur von 1957 bis 1964 [5] . Danach wurde er durch „Abhängigkeit“ und „schädlichen Gebrauch“ ersetzt.

Diese Umformulierung geschah, um die mit dem Begriff oft einhergehenden Stigmatisierungen von Abhängigen zu vermeiden. Gleichzeitig wurde der Begriff auf stoffliche Süchte konzentriert. In der Gesellschaft hat sich die Neuformulierung nicht durchgesetzt. "Sucht" ist weiterhin weit verbreitet und wird auch in den Medien vorwiegend benutzt. Begriffe wie „Suchtmittel“, „Suchtberatung“, Suchtkrankheit, Naschsucht, etc., aber auch Eifersucht, Sehnsucht, Ich-Sucht etc. zeugen von der Verbreitung.

In vielen wissenschaftlichen Arbeiten wird der Begriff „Sucht“ vermieden. Im Zusammenhang mit Diagnostik und Therapie werden mittlerweile die ICD-10psychotrope Substanzen” unterscheiden etwa zwischen „akuter Intoxikation“, „schädlicher Gebrauch“, „Abhängigkeitssyndrom“, „Entzugssyndrom“, „Psychotischer Störung“."


Der Ersatz des Begriffes „Sucht“ durch Abhängigkeit hat den Vorteil, diesen in zwei Formen spezifizieren zu können: als psychische und physische Abhängigkeit.

In der Folge verwenden internationale diagnostische Klassifikationssysteme wie der ICD-10 (International Classification of Diseases) und das DSM IV (Diagnostisches und Statistitsches Manual psychischer Störungen) nur noch die Begriffe „Abhängigkeit“, „Missbrauch“ und „schädlicher Gebrauch“. ( vergl. Hapke, U. 2000, S. 468)

Im Rahmen der Drogendebatte wird auch gegenwärtiger Konsum illegaler Substanzen (=Drogen) häufig aufgrund ihres Status nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtmG) prinzipiell als „Missbrauch“ bezeichnet. Der Begriff ist insofern problematisch, dass in Krankheitszustand mit einer moralisch wertenden Konnotation verbunden ist.

Schädlicher Gebrauch (ICD 10) wird als ein Handeln verstanden, das tatsächliche Gesundheitsschäden zur Folge hat. Er bezeichnet ein Konsummuster psychotroper Substanzen, das zu einer Gesundheitsschädigung führt. (z.B. Hepatitis durch verunreinigte Injektionsnadeln, depressive Episoden nach Kokainkonsum ) . Störungen im sozialen Umfeld wie Delinquenz, Partnerschaftskonflikte, Führerscheinentzug gelten nach obiger Definition nicht als ausreichende Kriterien.(vgl. Schmidt, L.G., 1999, S. 70).

In Abgrenzung dazu bezieht der DSM IV bei der Definition des „Substanzmissbrauch“ die soziale Dimension explizit mit ein. Demnach werden nachteilige Konsequenzen wie Versagen bei der Arbeit, in der Schule, Alkohol am Steuer, oder beim Bedienen von Maschinen, Probleme mit dem Gesetz und zwischenmenschliche Konflikte, als Kriterien für einen „Substanzmissbrauch“ angeführt. Erfüllt sind diese Kriterien, wenn diese Probleme wiederholt  während derselben 12 Monatsperiode auftreten. .(vgl. Schmidt, L.G., 1999, S. 70ff.).

Wikipedia:

"Kontrollverlust 

Abhängige verlieren die Kontrolle über ihr Verhalten [10] , das kann zum völlig maßlosen Verhalten führen, so dass bis zum Umfallen getrunken wird. Der eigene Kontrollverlust ist für Abhängige meist beschämend, da sie scheinbar nicht (mehr) im Besitz ihrer vollen geistigen Kräfte sind, so dass es zu massiven Verleugnungen und Vertuschungen vor sich selbst und der Umwelt kommt (z. B. jedes Bier sofort bezahlen, damit man nicht wirklich weiß, wieviel man getrunken hat). Deshalb wird Kritik von außen als unangenehm wahrgenommen. Dies alles führt meistens zur gesellschaftlichen Isolation oder in entsprechende gesellschaftliche Randgruppen.

Sind entsprechend feste Strukturen im Leben vorhanden wie eine Arbeit, so kann es vorkommen, dass Abhängige jahrelang nicht auffallen oder ein Doppelleben führen. Versucht werden Reduktion oder Verzicht auf die Suchtmittel zu bestimmten Begebenheiten, um Kontrolle über das von der Abhängigkeit gesteuerte Verhalten zu erlangen und nach außen als gesund zu erscheinen."


 

Insgesamt lässt sich festhalten, dass heute ein uneinheitlicher Begriff der Sucht gebraucht wird. Der Begriff der Abhängigkeit kann sich sowohl im wissenschaftlichen wie alltagssprachlichen Gebrauch nicht durchsetzen und den Begriff Sucht verdrängen.

Auch wenn der Begriff „Abhängigkeit“ häufig in Teilen der Fachliteratur gegenüber „Sucht“ bevorzugt wird, hat der Terminus Sucht den Vorteil, dass er alltag- wie wissenschaftssprachlich weit verbreitet und verständlich ist.

Des Weiteren umfasst er gleichermaßen sowohl stoffgebundene wie stoffungebundene Süchte und ist somit in der lage, die ganze Problematik süchtigen Verhaltens angemessener zu erfassen. Betroffene erleben ihn als weniger diskriminierend.

Ein Verständnis eines schädlichen Gebrauches im Sinne des ICD-10 kann dazu beitragen, die Diskussion um den Umgang mit Drogen zu versachlichen.

Die Verwendung des Begriffs schädlicher Gebrauch bringt den Vorteil, dass es sich hierbei für die Konsumenten eher um ein entlastendes normaleres Verständnis handelt.

Aber es gibt nach wie vor seitens der Vertreter der Antidrogenpolitik das Interesse, auch jeglichen Konsum illegaler Substanzen als Missbrauch zu bezeichnen und so auf die prinzipielle Schädlichkeit hinzuweisen.

Die definitorische Betrachtung des Begriffs Sucht verdeutlicht, dass die Bedeutung des Begriffes im Laufe der jüngeren Geschichte einem steten Wandel unterliegt. Es liegt zurzeit kein einheitliches kulturell übergreifendes Verständnis vor. (Hülsmann, J. ,2005 , S. 22 in „ Im Anfang ist die Beziehung“)

 


-Tabakkonsum als Inhalation von Verbrennungsgasen ist in jeder Menge und Art als schädlich zu bewerten.


- Riskanter Alkoholgebrauch bezeichnet Mengenangaben, fiir die epidemiologische Befunde ein erhöhtes Risiko belegen. (mehr als 20g reinen Alkohol/die bei Frauen und 30-40g bei Männern).

6-8% der in Deutschland verordneten Medikamente lassen sich als abhängigkeitsfördernd einstufen.

Eine illegale/illegalisierte psychotrope Substanz/Droge mindestens einmal im Leben konsumiert zu haben gaben 15% der Befragten der 18-59 jährigen in den alten 4.2 % in den neuen Bundesländern an.




An den Folgen der Erkrankungen leiden nicht nur die Abhängigen und ihre Angehörigen, sondern auch der Staat und die Gesellschaft. So wird die Zahl derjenigen, die aufgrund von Rauchen an Lungenkrebs versterben auf 110 000 Jahr geschätzt. Der größte Teil der Patienten mit koronarer Herzkrankheit sind Raucher. Die Krankheitskosten allein für den Alkoholmissbrauch wird auf mehr als 80 Mrd. EUR geschätzt.

Missbrauch und Abhängigkeit verursachen weiter hohe soziale und materielle Folgekosten

- durch Beschaffungskriminalität im Bereich der illegalisierten stoffgebundenen Süchte. Ein Gefängnistag kostet ca. 110 EUR. Ca. 60% der zurzeit einsitzenden Gefängnisinsassen sind suchtkrank. 

- durch Gewaltkriminalität in all ihren Ausprägungen, bei der häufig Alkohol eine Rolle spielt.

Es verwundert, wie die Debatte über Abhängigkeitserkrankungen angesichts dieser Zahlen in der BRD geführt wird. Sie konzentriert sich auf die von illegalen Drogen abhängigen und dort vor allem auf die Gruppe der sozial ausgegrenzten Schwerstabhängigen in den städtischen Ballungsgebieten. 
 
So gut wie keine Diskussion gibt es über die Ursachen sowie die Hilfsangebote für die viel größeren Gruppen der Nikotin-, Alkohol- und Medikamentenabhängigen.

Zu wissen, welche Bedeutung die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für das Ausmaß der Abhängigkeitserkrankungen haben, ist wichtig, um der Auffassung entgegen zu treten, Abhängigkeit sei lediglich ein individuelles Problem und eines mangelnder Effizienz und Effektivität des Suchtkrankenhilfesystems.

Ursachen , Risiko- bzw. Vulnerabilitätsfaktoren

 Es gibt verschiedene Ursachen sowie Risiko- bzw.

Vulnerabilitätsfaktoren, die das Entstehen von Sucht und Abhängigkeitserkrankungen erklären:

-Tiefenpsychologischer- biografischer Ansatz

Sucht ist eine " permanente Prothese für die veruntreute Mutter, für die verlorene Dualunion".

Von dieser zentralen Einsicht der Tiefenpsychologie ordnen sich all Fragen der Entstehung, Diagnose und Prognose der Suchtproblematik. Was immer Gegenstand oder Befriedigungsmittel der Sucht sein mag  Alkohol, Nikotin, Drogen, Arbeit, Sexualität, Diebstahl, Männer, Frauen, - in allem sucht der Süchtige letztlich seine verlorene Mutter bzw. deren Ersatzpartner und mit ihr verlangt er wie ein Kind nach Sicherheit, Halt, Geborgenheit, Anerkennung und Annahme. So wichtig, wie dem Kind die Gegenwart der Mutter,

so wichtig ist dem Süchtigen das Mittel seiner Sucht, das die Mutter vertritt. Nur in seiner Nähe fühlt er Selbstachtung, Selbstentfaltung, die Rechtfertigung seines Daseins und Soseins. Mit der Energie, wie ein Kind sich an die Mutter klammert, mit derselben Leidenschaft klammert der Süchtige sich an sein Befriedigungsmittel. Es ist der einzige Ort, das einzige Ding, an dem er fühlt, das er leben darf, dass er angenommen ist, es ist ein Fetisch, eine pars pro toto allen Lebensverlangens. Auf jede Unterbrechung des Einheitserlebens mit dem Suchtmittel reagiert der Süchtige daher mit Vernichtungs- und Selbstentwertungsgefühlen. (L. Szondi österr. Tiefenpsychologe 1930)

Vor diesem Hintergrund versteht man, warum auf den Süchtigen die Warnung oder die Einsicht keinerlei Eindruck macht, dass ihn die Sucht über kurz oder lang ruinieren wird.

-Neurobiologischer Ansatz            

Suchtmittel verschiedener Substanzklassen, Opiate wie Heroin, THC, Haschisch, Nikotin, Alkohol bewirken im Gehirn die Freisetzung bestimmter Transmitter- und Hormonsysteme. Es kommt bei allen zu einer Freisetzung von Dopamin innerhalb des Mittelhirnes, des sog. mesocorticolimbischen Systems. Diese gesteigerte Dopaminfreisetzung fiihrt zu einer psychisch aktivierenden Wirkung im sog. Belohnungssystem des Mittelhirnes. Diese Wirkung ist verantwortlich fiir das Maß des Abhängigkeitspotentials. Man nimmt heute an, dass neuronale Strukturveränderungen in diesem System das süchtige Verhalten aufrechterhalten.

Stresshormone wie Cortisol und Corticotropin können einen unwiderstehlichen Druck nach Dopaminfreisetzung auslösen.


-Ursachen im genetischen Bereich

Mit Sicherheit muss von einer genetischen Disposition ausgegangen werden, wie zahlreiche Zwillingsstudien gezeigt haben.



 Genetisch bedingter Mangel an sogenannten Neurotransmittern wie Noradrenalin, Dopamin und Endorphin produzierenden Strukturen bewirkt eine Verlangsamung der cerbralen Funktionen. Der vermehrte Bedarf  führt bei vielen Suchtkranken zu einer eine Art Selbstmedikamentierung. An dieser Stelle müssen  Krankheitsbilder aus dem ADHS Formenkreis(Aufmerksamkeitsdefizit/ Hyperaktivitäts Syndrom) erwähnt werden. Man nimmt heute an, dass hier der chronische Mangel  an Neurotransmittern im Bereich der  Neurorezeptoren beim Erwachsenen in die Sucht führt. Interessanterweise ist man bis heute davon ausgegangen, dass ADHS mit dem 18. Geburtstag ausgeheilt sei. Medikamente zur Behandlung dieser Erkrankung (z.B. Ritalin) waren bis 2012 nur bis zum 18. Lebensjahr verordnungsfähig und unter die strenge Aufsicht der Betäubungsmittelverordnung gestellt. Der relative Neurotransmittermangel bleibt jedoch lebenslang bestehen.


Heute (2015) ist BTM Aufsicht bzgl. der  Verordnung von Stimulanzien (=selektive Dopamin Wiederaufnahmehemmer) für Erwachsene so streng und strafbewehrt, dass sich nur wenige Ärzte finden, die sich um  adulte ADHS/ Suchtpatienten kümmern.



Andere Forscher nehmen an, dass familiär vorbelasteten Menschen ein niedriger Spiegel an Endorphinen im Gehirn vorliegen und dieser durch extern zugeführtes Opiat ausgeglichen werden könne. Ob solche angeborenen physiologischen Unterschiede aber ursächlich zur Entstehung einer Suchtkrankheit beiträgt, muss noch in prospektiven Langzeitstudien überprüft werden.

-Ursachen im lerntheoretischen Ansatz

Lernvorgänge setzen voraus, dass Ergebnisse miteinander zeitlich- räumlich verbunden auftreten. Zuvor neutrale Reize, welche die Suchtmittelaufnahme begleiten und in direktem Zusammenhang Suchtmittelwirkung stehen, können schließlich selbst körperliche psychische Reaktionen auslösen. In erster Linie sind dies Anblick, Geruch und Geschmack der jeweiligen Zubereitung einer Substanz. Die zuvor neutralen Reize können als Verstärker selbst Verhalten verstärken. Bereits der Anblick eines Spritzenbesteckes kann bei Heroinabhängigen ein starkes Gefühl des Verlangens nach der Droge begleitet werden.

Trotz Substitution mit einem Nikotinpflaster zum Beispiel bleibt bei einem Nikotinabhängigen ein erhöhtes Verlangen nach Nikotin bestehen, da die sensorischen Begleiterscheinungen des Rauchens einen eigenständigen hedonistischen Wert haben.

-Ursachen im so genannten systemischen Ansatz

Der systemische Ansatz sucht die Suchtursache nicht im Symptomträger allein, sondern in dessen sozialem System, im sozialen Umfeld, in der Regel in der Familie und den umgebenden Gesellschaftsstrukturen .

-Familiäre Faktoren, die eine Suchtentwicklung begünstigen:

-ständige Spannungen und Disharmonie in der Familie

-Alkohol und Drogengebrauch von Eltern und Geschwistern

-Permissivität von Eltern bzgl. sozialer Regeln und Normen

- Familienbeziehung ohne Wärme, Verständnis und Akzeptanz

-ernsthafte chronische psychische Störung eines Elternteils -Scheidung oder Trennung von einem Elternteil

-Erfahrung körperlichen und sexuellen Missbrauchs .

 
Zitat Prof. Hurelmann, Pädogoge Uni Bielefeld:                                       

„Verunsichertes Erziehungsverhalten, das die Beziehung zwischen Eltern und Kindern stark irritiert, ist demnach ein Einfallstor für die Sucht. Die Rolle des verhätschelten Mutterkindes und des ausgestoßenen Randkindes führt zu einer Anfälligkeit gegenüber Zigaretten, Alkohol, anderen psychtropen Substanzen bis hin zu illegalen Drogen.
 

            Kinder aus Elternbeziehungen, die sie nicht zu emotionaler und sozialer Stärke und zur Selbständigkeit stimulieren, sind immer wieder geneigt, ihre Defizitempfindungen durch den ausgleichenden Griff zur Droge zu verdrängen. Und Kinder, die in ihrer Familie ein Beziehungschaos und einen ständig wechselnden Erziehungs- und Umgangstil erfahren, sind ebenso schlecht dran, weil sie durch diese Anomie der sozialen Beziehungen nicht wissen, wo sie stehen und wer sie sind. 

            Es ist, glaube ich heute sehr viel schwerer als jemals zuvor, die Elternrolle kompetent auszufüllen. Mütter und Väter sehen sich vielfachen Ansprüchen im Berufsbereich gegenüber und verfolgen zugleich die Vorstellung eines freien und individuellen Lebens mit einem hohen Grad von persönlicher Entfaltung. In dieser Situation dauerhaft und mit Aufmerksamkeit für Kinder zur Verfügung zu stehen, ist keinesfalls selbstverständlich. Kindererziehung ist immer eine prekäre psychische und soziale Balance: Ein Kind sollte in der Familie gefühlsmäßige Wärme spüren und sich angenommen und geliebt fühlen. Es sollte zugleich seinem Alter und seinen Fähigkeiten entsprechend in seiner Selbständigkeit gefördert und in seinem Leistungswillen gestärkt werden. Es sollte auch schließlich Zuhause die sozialen Spielregeln für das Umgehen miteinander lernen, Konsequenzen erfahren und Grenzen erleben können.
            Kindern Grenzen zu setzten, fällt den Eltern heute offenbar besonders schwer. Ohne das Einhalten von Regeln und konsequentes Handeln beim Verletzen von Regeln ist aber ein Miteinanderleben im Familienbereich oder anderen sozialen Bereichen nicht möglich.“

 
Peer Group (Gruppe gleichaltriger Freunde)

Zahlreiche Verlaufsstudien zeigen erheblichen Einfluss der Peer Gruppe auf den Drogenkonsum Jugendlicher. Deshalb wird in den Präventionsprogrammen versucht, soweit als möglich Gleichaltrige zur Vermittlung von Wissen, Einstellungen und drogenunabhängigen Verhalten einzusetzen. 

Die Aufnahme des Drogenkonsums findet nach den Bielefeldstudien in der Gleichaltrigengruppe und der Freundesclique statt:25% dieser Jugendlichen mit einer dichten und festen Cliquenorientierung konsumieren regelmäßig, wöchentlich oder täglich, Wein, Sekt, oder Bier; die entsprechenden Werte für Jugendliche mit einem aktiven Vereinsleben lagen nur bei 10 Prozent. Wer sich früh von den Eltern löst und sich stark zur Gruppe hin orientiert, benutzt den Alkohol offensichtlich als ein Mittel zum Zusammenhalt der Clique und zur Abgrenzung von der Erwachsenenwelt. Viele versuchen auch durch übermäßiges Trinken Stärke und Unabhängigkeit zu demonstrieren.

            Die jungen Männer sind auf den Alkohol als Gefühls- und Spannungsregulierer und auch als Enthemmer viel stärker angewiesen als die jungen Frauen, die mit solchen Anspannungsgefühlen eher auf psychische Weise umgehen. Häufige Rauschzustände deuten darauf hin, dass Alkohol unkontrolliert und unmäßig vor allem von Männern konsumiert wird. So kann es auch nicht verwundern, dass gerade in dieser Gruppe schon von bis zu 5 Prozent ernsthaft Alkoholgefährdeten ausgegangen werden muss, bis hin zur lebensgefährlichen Vergiftung.
 

Soziale und Gemeindefaktoren 

-Arbeitsbelastung im Beruf, ständige Überforderung -Privater Innenbereich: Wohnung

-öffentlicher Außenraum: Nachbarschaft und Stadtteil. (hohe Bev.

-Dichte, Mangel an natürlicher Umgebung, hohe Mobilität der Bewohner, geringe nachbarschaftliche Bindungen )

-Umfeld von Delinquenz und Gewalt, Drogenhandel ist delinquentes Verhalten und bindet an kriminelles Milieu

-Starker erzieherischer Druck flührt zu chronischer Überlastung und damit zu einer Anfälligkeit für psychotrope Substanzen (Schule) 

„Besonders die Aufnahme des Zigarettenkonsums bei den zehn bis siebzehnjährigen Schülern und die Häufigkeit des Konsums hängen eng mit Versagenserlebnissen im Schulbereich zusammen. Weitaus die meisten Raucher finden sich an den Hauptschulen. Hier sind 38% der Schüler starke mindestens wöchentliche Raucher, während es an Realschulen und Gesamtschulen nur etwa 20% und an den Gymnasien 9 % sind. Diese unterschiedlichen Werte haben eindeutig etwas mit der Prestigeeinstufung der Schulformen in der Öffentlichkeit zu tun. Sie spiegeln die Wettbewerbs- und Chancenstrukturen der ganzen Gesellschaft wider“.
 

Therapiemöglichkeiten  

Im traditionellen Versorgungsmodell der therapeutische Kette waren bis etwa 1995 den Behandlungsphasen jeweils voneinander getrennt arbeitende Institutionen zugeordnet. Etwas überspitzt formuliert, hatten Suchtberatungsstellen die Aufgabe der Motivation zu einer abstinenzorientierten Therapien in Fachkliniken zum Teil in weiter räumlicher Entfernung vom Wohnort der Patienten, fand die Entwöhnungstherapie statt, an die sich eine Phase der Nachsorge mit dem Schwerpunkt der sozialen Rehabilitation anschloss. So genannte niederschwellige Hilfen, im Sinne der Suchtsymptomlinderung oder "harm reduction", standen kaum zur Verfügung.

In diesem traditionellen Modell wurde und wird immer noch wertvolle Arbeit geleistet. Andererseits bleiben Bedürfnisse anderer Patienten wie auch therapeutische Möglichkeiten vielfach ungenutzt. Der Gang zur Suchtberatungsstelle setzt beim Abhängigen eine keineswegs selbstverständliche Motivation voraus. Suchtpatienten suchen hingegen wegen der begleitenden körperlichen Erkrankungen in aller Regel ihre Hausärzte auf Von diesen erfolgt normalerweise die Motivationsarbeit zu psychotherapeutischen Interventionen-

Ein weiters Problem stellt die mehrmonatige Entwöhnungstherapie in weiter räumlicher Entfernung von der alltäglichen Lebenswelt dar . Dieses Behandlungsangebot empfindet ein Teil der Abhängigen als Gefahr für ihre soziale Integration und daher als unattraktiv.

Schließlich sprengten neuere Therapieverfahren das traditionelle Paradigma der therapeutischen Kette. In der Methadonsubstitution, einer so genannten Ersatzstoffvergabe, geht die soziale Rehabilitation der Abstinenzentwicklung voraus. Psychotherapie findet dort nur als kurzfristige Krisen- und Rückfallintervention statt. 
 

Vor diesem Hintergrund wurde das Prinzip der therapeutischen Kette durch das Prinzip des Versorgungsnetzwerkes abgelöst. Tm Netzwerk arbeiten zahlreiche, möglichst gemeindenahe Institutionen zusammen:

-Hausärzte / Suchtmediziner als Zentrum des Netzwerkes -Suchtberatungsstellen, 

-PSB Psychosoziale / Drogen Beratungstellen, 

-Schwangerenberatung

-Selbsthilfegruppen  

-Institutionen der Kleidungs- und Nahrungsbeschattung (Caritas, Diakonie)

-Substitutionsapotheken

-Entgiftungsstationen in den Krankenhäusern -Unterschiedliche Einrichtungen der sozialen Rehabilitation wie

Wohngruppen und Werkstatten

-Ambulante oder stationäre Rehabilitation als das Zentrum umgebende Institutionen.

Eigene Ergebnisse


Therapeutisches Netz

Qualitätsmerkmale eines therapeutischen Netzwerkes sind inter die Transparenz der Behandlungsangebote der verschiedenen Institutionen sowie klare und verbindliche Kriterien für die Zuweisung des jeweiligen Patienten. Zum anderen muss das Netzwerk in seiner Funktion extern z.B. für Krankenhäuser der Regelversorgung erkennbar sein. In den letzten 5 Jahren ist es uns in Castrop- Rauxel gelungen, ein solches therapeutische Netzwerk zu konstituieren.

Seit etwa 25 Jahren haben wir in unserer Schwerpunktpraxis für Suchterkrankungen von den etwa 200 geschätzten Heroinabhängigen der 80 Tsd. Einwohner zählenden Stadt Castrop-R. 150 Patienten in unser Methadonvergabeprogramm aufgenommen. 

In Castrop-Rauxel gibt es somit keine offene Drogenszene mehr.

Die PSB (psycho soziale Betreuung) der Drogenberatung Recklinghausen ist etwa 5 Minuten zu Fuß von der Praxis entfernt. Sie beschäftigt 4 Mitarbeiter, die teilweise über die so genannte Wiedereingliederungshilfe des Kreissozialamtes finanziert werden. Diese haben Kontakt zu allen Substituierten. Aufgabe ist es, die Klienten bezüglich weitergehender Therapien zu leiten, ihnen bei der Wohnungsbeschaffung und anderen sozialen Wiedereingliederungsmaßnahmen behilflich zu sein. Außerdem besteht in der PSB stelle die Möglichkeit, sich zu treffen und einen Tee zu trinken.

Patienten werden von unsrer internistisch kardiologischen Praxis versorgt,
im Nebenhaus befindet sich eine chirurgische Praxis.

Die am Ort ansässige Caritas Station betreibt mit einer großen Zahl freiwilliger Helferinnen und Helfer eine Suppenküche im Winter, im Sommer werden die Bedürftigen von der Castroper Tafel versorgt, die überzähliges Brot und Mahlzeiten von den Restaurants und Bäckereien am Ort verteilt. Hier finden zahlreiche persönliche Kontakte zu den freiwilligen Helferinnen und Helfern statt. Die Caritas kümmert sich besonders auch um die Schwangeren Substituierten, durch Beratung und Baby-Erstaustattungen. Die Diakonie betreibt eine sehr effiziente Suchtberatungsteile, die sich speziell um unsere Alkoholkranken kümmert. Ersatzstoffvergabeprogramme für die Alkoholkranken gibt es bislang noch nicht sind in der diskutierenden Forschung.

Etwa 10 Patienten pro Monat sind in stationärer Behandlung unserer städtischen Klinik f. Neurologie und Psychiatrie des ev. Krankenhauses, meistens infolge unkontrollierten Heroin Beikonsums, besonders zu Beginn der Substitution.

Gute Zusammenarbeit mit der Polizei, die nahe dem Stadtmittelpunkt stationiert ist, hat dazu geführt, dass es in CRX praktisch keine offene Drogenszene mehr besteht. Die Beschaffungsdiebstahlsdelikte haben sich in den letzten 5 Jahren weiterhin drastisch reduziert.




Outcome


Pro Jahr verlassen etwa 10% der so Behandelten die Therapie als stabilisiert und opiatfrei.
Ca. 10 bis 15 neue Patienten kommen jährlich dazu.


Die durchschnittliche Behandlungsdauer beträgt nach der Literatur 1 bis 20 Jahre. Die ältesten Patienten bei uns sind 65 Jahre und 25 Jahre in Substitution. 

Man muss bei schwerstabhängigen von einer lebenslangen Behandlungs- und Substitutionsbedürftigkeit ausgehen. Hieraus ergeben sich neue Fragestellungen im gerontopsychiatrischen Bereich.

Ältere – ehemalige – Drogenkonsumenten sind in besonderer Weise von allgemeiner Stigmatisierung, gesundheitlichen Beeinträchtigungen, sozialer Ausgrenzung und mangelnder Versorgung betroffen und ihre Anzahl wächst stetig. Altersbedingte und pharmakologisch verursachte Funktionsverluste nötigen zur Schaffung spezifischer, auf die Bedürfnisse der Langzeitabhängigen zugeschnittenen Lösungen zur Lebensgestaltung. Bisher hat sich bis auf wenige institutionelle Ansätze der Begleitung noch keine breitflächige Umsetzung im Hilfesystem oder der medizinischen Landschaft in Deutschland etabliert – eine Suche nach Lösungen ist dringend erforderlich.  


Unter Substitutionbedingungen sind in den letzten 5 Jahren 4 Patienten verstorben, 2 infolge Suizid, einer infolge ungeklärter HIV bedingter Hirnblutung. Einer durch Sturz in einen Kellerabgang nach Diebstahl und Flucht vor der Polizei.

2015 verstarb ein subst. Patient an den Folgen einer Leberzirrhose bei Hepatitis C als Suchtfolgeerkrankung.

Delinquenz

Straffällig geworden sind etwa 80% der jungen Männer und Frauen. Die Hälfte davon hat längerfristige Gefängnisaufenthalte hinter sich.


Die Kosten für die medikamentöse und ärztliche Behandlung betrag etwa 10 Euro Tag. Das sind ca. 1500 Euro/ Tag oder 540 Tsd. Euro Jahr.

In einer vergleichbaren Schweizer Studie betragen die Kosten, die unbehandelte Drogenabhängige in Zürich durch Diebstahl, Gefängnis etc. verursachen ca. 3.5 Mio. SFr, unter Substitutionsbedingungen betragen die Kosten ca. 1.2 Mio. SFR.


Der Tag im Gefängnis kostet zurzeit ca. 110 Euro. Studien über die therapeutische Konsequenz bzw. Effizienz ergibt sich aus Gefängnisaufenthalten nicht.  

Komorbidität

Etwa 40% von Ihnen haben eine so genannte psychiatrische Komorbidität, da heißt sie leiden neben ihrer Suchtkrankheit unter psychischen Krankheiten, wie Schizophrenie, Borderline Störungen, Depressionen oder an chronische Angst. 60% haben eine hoch auffällige biografische Vorgeschichte, die durch Gewalt, Missbrauch, Vernachlässigung, Erkrankungen oder Tod der Eltern, oder Elternteilen in der frühen Kindheit gekennzeichnet ist. Diese Patientengruppe wird zu einem geringen Teil von psychiatrisch tätigen Kollegen versorgt. Der größere Teil muss zu einer weitergehenden Psychotherapie motiviert werden.

Von den 60% Männern und den 40% Frauen unseres Patientenkollektivs sind ca. 60% der Patienten an infektiöser Hepatitis C  erkrankt, 3 davon sind HIV positiv, unter medikamentöser Behandlung noch nicht AIDS krank. Etwa 10 % leiden an chronischen Spritzenabszessen, chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen und kardiologischen Erkrankungen. 



Berufstätigkeit

Etwa 30 % der so betreuten Patienten sind in ganztägigen bzw.  Teilzeitarbeiten beschäftigt.

Grundsätzlich können auch substituierte Patienten wieder berufstätig werden, denn die Methadoneinnahme erfolgt nur einmal täglich. Bei stabiler Substitution ist bei den meisten auch eine wöchentlich Vergabe unter Mitgabe der Tagesdosen (durch die Apotheke) möglich.

Politische Arbeit 

Ich (Dr. Selle) war von 2000 bis 2004 als sachkundiger (CDU)Bürger in den Jungendhilfeausschuss des Rates berufen, wo sich Suchtthemen in der komunalpolitischen Diskussion nur sehr schwierig diskutieren ließen.

Die unterschiedlichen parteipolitischen Interessen, die ein gemeinsames Handeln parteiübergreifend ermöglicht hätten, waren letzlich nicht zu überbrücken.

Es kam schließlich dazu, dass die Verwaltung die Sucht- und Drogenproblematik ganz aus der Thematik des JHA nahm, weil die Suchtkranken ja alle über 18 Jahre alt seien und damit nicht mehr in den Zuständigkeitsbereich von Jugendamt und JHA fielen.  Besondere Differenzen bestanden immer dann, wenn es um erzieherische Verantwortung für die Kinder ging, hier wurde durchgängig mehr Rücksicht auf die  Mütter, nicht auf die Kinder genommen.

 Die Suchtmedizin sieht die Familie als Ort der Angstberuhigung und emotionalen Stabilisierung, während politische Auffassungen aller Parteien diese Prägung in Kindergarten und Horten als ausreichend ansieht. So soll demnächst in unserer Stadt eine Neugeborenen Betreuung durch das  Jugendamt angeboten werden, von den bereits existierenden Ganztagsgrundschulen ganz zu schweigen, um den allein stehenden Müttern die Möglichkeit der Berufstätigkeit zu geben. Die Konsequenzen mangelnder emotionaler Entwicklung der Kinder werden nicht bedacht. Emotional instabile Kinder können nicht nein sagen und sind latent suchtgefährdet.  

Die Informationsarbeit in Schulen und Kindergärten durch Suchtmediziner und Suchtberatungsstellen sind gewünscht und finden regelmäßig statt. Leider findet sich kein Arbeitskreis engagierter Lehrerinnen und Lehrer, die die Informationen über die Entstehung vor Suchterkrankungen an Eltern und Kindern regelmäßig weiterleiten. Die Kurrikula lassen kaum Zeit für derlei Aktivitäten zu.

In Deutschland gibt es Lebenskompetenzprogramme des Landesinstituts für Schule und Weiterbildung NRW, mit dem Ziel jungen Menschen Selbstvertrauen zu vermitteln, psychoaktive Substanzen nicht zu konsumieren. Ein weiters sehr effizientes und evaluiertes Programm besteht als das Schulprogramm

unter der Bezeichnung LIONs QUEST aus den USA Es ist in Deutschland von der pädagogischen Hochschule Nürnberg evaluiert worden. Es heißt Klasse 2000. Diese Programme wenden sich an Fünftklässler der Hauptschulen und Gymnasien, um sie hinsichtlich der Effekte von Psychotropen Substanzen aufzuklären und ihnen suchtprotektive Fertigkeiten zu vermitteln. Mein Engagement für dieses Programm hat ein Interesse bei Pädagogen  hervorgerufen, ohne dass es zu resultierenden Bemühungen gekommen ist. 

 Hauptgründe sind die Unvereinbarkeit mit den bestehenden Lehrplänen und die fehlende Zeit.

Meines Erachtens sollten solche Präventionprogramme in Kindergärten mit den Eltern und Bezugspersonen durchgeführt werden, um noch früher suchtprotektives Verhalten zu vermitteln.  

Auch mein Engagement in Kindergärten leidet darunter, dass die Eltern in der Regel kaum Zeit für solche Kurse haben. Zudem leiden sie unter der gesellschaftlichen Realität der vollschichtigen elterlichen Berufstätigkeit.

Schaut man sich die fachlich unstrittigen Anforderungen an die Prävention an, nämlich suchtmittelunspezifisch, Zielgruppen

orientiert, regional, langfristig, im frühen Alter einsetzend, vernetzt (mit Schule und Elternhaus, Kindergarten, Hort, Sportverein, Beratungsdiensten) zu arbeiten, so wird schnell klar, dass die Suchtkrankenhilfe nicht allein die Verantwortung haben kann. Sie spielt in derartigen regionalen Präventionskonzepten eine wichtige fachliche Rolle, kann aber den Anspruch der Alleinzuständigkeit nicht realisieren. 
 
Zitat Prof. Hurrelmann, Pädagoge, Uni Bielefeld

            „Es ist bedauerlich, dass aus staatlichen Sondertöpfen die repressiven Maßnahmen der Drogenbekämpfung bezahlt werden, aber kaum etwas für die präventiven Maßnahmen übrig bleibt. Es fehlt an Räumen, die Kinder und Jugendliche sich nach ihren Maßstäben, Bedürfnissen und Kräften aneignen können. 
            Einsparungen im Kindergartenbereich und in Jugendarbeit und Jugendhilfe sind der sicherste Weg, um unsere Gesellschaft für die junge Generation noch ungastlicher zu machen, als sie es ohnehin schon sind. Zugleich steigen die Werbeetats der großen, international operierenden Konzerne, die auf Suchtförderung orientiert sind. 

            Der allerbeste Schutz gegen Drogenkonsum ist ein gutes Selbstwertgefühl von Jugendlichen. Junge Menschen, denen es psychisch, sozial und körperlich gut geht, sind gegen den Konsum von Drogen besser gewappnet als diejenigen, denen es schlecht geht.  
            Hier und nirgendwo anders müssen die Hauptansatzpunkte für jede Bekämpfung des Drogenkonsums und des Missbrauchs von Drogen liegen.“ 


Wichtig ist mir zum Schluss dieses Referates die Einsicht, dass Suchtkranke ein Teil dieser Gesellschaft sind, und dass sie nicht vom Himmel zu uns gekommen sind. Sie haben Biografien, die sie in ihrer Not dazu gebracht haben sich selbst zu medikamentieren. Suchterkrankungen stellen kein selbstverschuldetes Schicksal dar, sondern haben immer eine Entstehungsursache, seien sie nun mehr im sozialen, im psychischen oder im neurobiologischen Milieu entstanden und verankert. So gesehen bedürfen sie der kompetenten medizinischen Hilfe und noch mehr der gesellschaftlichen Fürsorge. Meine Damen und Herren, ich danke für ihre Aufmerksamkeit. Ich stehe nun ihren Fragen zu Verfügung. 

 
     

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