Dr. Joachim Selle
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Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat am 14.04.2011 erstmals einer Indikationserweiterung auf Erwachsene bei einigenMethylphenidat-haltigen Arzneimitteln zugestimmt. Bisher war die Zulassung wegen unzureichender Studiendaten auf die Anwendung bei Kindern und Jugendlichen ab 6 Jahren begrenzt. Aufgrund der nun vorliegenden Ergebnisse aus klinischen Studien konnte die Wirksamkeit und Sicherheit einer Anwendung bei Erwachsenen hinreichend belegt werden.



Methylphenidat, Ritalin, Equasym, Medikinet

 

Die pharmakologischen Eigenheiten verschiedener Präparate mit den individuellen Anforderung der Patienten und ihrer Familien in Einklang zu bringen – dies ist eine der größten Herausforderungen für den Therapeuten einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS/ADHD). Studien dazu sind nicht immer vergleichbar und ihre Aussagekraft deshalb häufig eingeschränkt. So rückte für die 360 Teilnehmer der 4. ADHD Europe Conference 2010 am 8. Mai in Berlin die Bedeutung neuerer Arbeiten in den Mittelpunkt der Diskussion – darunter auch die ersten Ergebnisse der noch unveröffentlichten CoMeCo-Studie aus Köln.

Über die Ergebnisse und Grenzen der Interpretationen von drei neueren Arbeiten berichtete Prof. Tobias Banaschewski, Mannheim: In einer Studie der Atomoxetin/Methylphenidat Comparative Study Group zum Beispiel lässt sich erkennen, dass „keiner der beiden Wirkstoffe für alle Patienten geeignet ist“, so Banaschewski. Jeffrey H. Newcorn et al. hatten fast 500 Kinder und Jugendliche untersucht und waren zu dem Schluss gekommen, dass eine Retardformulierung von Methylphenidat (MPH) bei einem signifikant größeren Anteil der Patienten eine deutliche Reduktion des ADHD Rating Total Score bewirkt hatte als das Nicht-Stimulans Atomoxetin. Unter den 70 MPH-Nonrespondern hatten 30 (43%) auf Atomoxetin angesprochen und umgekehrt hatten 29 (42%) der Atomoxetin-Nonresponder zuvor von dem retardierten MPH profitiert. 

In der COMACS-Studie mit 184 Patienten zwischen sechs und zwölf Jahren hatten Swanson et al. die beiden Stimulanzien Metadate® und Concerta® in äquivalenten Dosierungen von MPH bei unterschiedlich großen Anteilen von verzögert freigesetztem Wirkstoff verglichen. Dies spiegelte sich in einem differenziellen zeitlichen Verlauf der SKAMP Deportement Scores wieder, die anzeigen, wie produktiv und kooperativ die Patienten sind: Metadate® führte hier schnell zu einer deutlichen Verbesserung, während Concerta® im Tagesverlauf eine besser ausbalancierte Reduktion des SKAMP bewirkte. „Wenn man die Dosis konstant hält, hängt es demnach von der Kinetik ab, zu welchem Zeitpunkt die eine Substanz der anderen überlegen ist“, folgerte Banaschewski. 

Anhand einer außergewöhnlich großen Metaanalyse von 23 Studien mit 11 verschiedenen Arzneien und 19 unterschiedlichen Auswertungskriterien hatten Faraone und Buitelar unlängst versucht, mögliche Unterschiede zwischen Amphetaminen und MPH aufzudecken. Die beiden Forscher hatten dabei für die Amphetamine im Durchschnitt ausgeprägtere Effektgrößen ermittelt. Jedoch warfen ausgerechnet die beiden Untersuchungen mit den besten Ergebnissen zugunsten der Amphetamine Fragen bezüglich der Auswertung auf, erklärte Banaschewski. „Wir brauchen mehr direkte Vergleichsstudien“, forderte der Psychiater. 

Mit der noch unveröffentlichten „CoMeCo“-Studie präsentierte Prof. Manfred Döpfner, Köln, eine Untersuchung in schulischer und familiärer Umgebung. Verglichen wurden Concerta® mit einer äquivalenten Dosis Medikinet® retard (bei höherem morgendlichen Bolus) sowie Medikinet® retard in reduzierter Tagesdosis mit zu Concerta® gleichwertigem morgendlichem Bolus. Durch die unterschiedlichen Mengen an unmittelbar freigesetztem MPH (22 % für Concerta®, 50 % für Medikinet®) sei am Morgen eine größere Wirkung für Medikinet® erwartet worden, für Concerta dagegen eine länger anhaltende und über den Tag ausgeglichenere Wirkung, so Döpfner. 

Sowohl die Bewertungen der Eltern als auch die der Lehrer flossen in eine neue Skala namens DAYAS ein (engl. „Day Profile of ADHD Symptoms“). Hierbei wurde die Nicht-Unterlegenheit für Medikinet® retard in der Äquivalenzdosis gegenüber Concerta® für sämtliche sechs Beobachtungszeiträume des Tages festgestellt. In den ersten drei Schulstunden erwies sich Medikinet® retard wie erwartet bezüglich der Symptomkontrolle gegenüber Concerta® als eindeutig überlegen. Als überraschend bezeichnete Döpfner es hingegen, dass die Nicht-Unterlegenheit von Medikinet® retard in der nachmittäglichen und abendlichen Bewertung durch die Eltern Bestand hatte. Dies sei möglicherweise eine Folge des verringerten Stresses am Morgen gewesen, interpretierte der Experte die Ergebnisse. 


Lang- und kurzwirksames Methylphenidat: beide haben ihre Berechtigung 

In dieser Studie hatte Medikinet retard® in reduzierter Dosis am Nachmittag einen schwächeren Effekt als Concerta®, nicht jedoch in äquivalenter Tagesdosis. Auch auf die kurzwirksamen Präparate darf im Sinne einer individualisierbaren Pharmakotherapie nicht verzichtet werden, erläuterte David Coghill vom Ninewells Hospital & Medical School in Dundee, Schottland. Dies entspricht auch den praktischen Empfehlungen, die eine Expertengruppe aus mehreren europäischen Ländern 2008 herausgegeben hat, erinnerte Coghill in seinem Vortrag zur Umsetzung von Leitlinien in der täglichen Praxis. 
In den meisten Fällen sei MPH erste Wahl, doch zählten früherer oder anhaltender Substanzmissbrauch sowie Tics zu den Gründen, den Einsatz von Atomoxetin zu erwägen. Entscheidet sich der Therapeut für MPH, so spräche die einfachere Handhabung für Formulierungen mit verzögerter Freisetzung. Außerdem könne man damit Stigmatisierungen eher vermeiden und Probleme mit der Medikamenteneinnahme – etwa in der Schule – umgehen. MPH-Formulierungen mit sofortiger Freisetzung der Wirksubstanz hätten dagegen ihren Platz, wenn eine flexiblere Dosierung benötigt wird und beim Auftitrieren zu Beginn der Behandlung, fasste Coghill zusammen. 

Quelle: Medice

 
 
 
  
 

 

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